Wissenschaftlerin Bettina Kubicek über Chancen und Gefahren der neuen Arbeitswelt
Die Arbeitswelt steht vor einer massiven Veränderung: Mehr als 40 Prozent aller ArbeitnehmerInnen waren im März und April 2020 im Homeoffice, wie eine Erhebung der Arbeiterkammer ergeben hat. Und auch wenn dieser Wert wahrscheinlich wieder abnimmt, weiß ÖGB-Vizepräsidentin Korinna Schumann: „Homeoffice ist gekommen, um zu bleiben.”
Bettina Kubicek, Universitätsprofessorin der Uni Graz, setzt sich damit wissenschaftlich auseinander und war auch beim ÖGB-Sommerdialog zum Thema Homeoffice zu Gast. Im Interview gibt die Wissenschaftlerin einen Einblick in den Stand ihrer Forschungen, Probleme und Chancen in einer sich rasant verändernden Arbeitswelt und sagt, was jetzt nötig ist, um die Zukunft auch für ArbeitnehmerInnen sinnvoll zu gestalten.
Ihr Spezialgebiet ist die Arbeits- und Organisationspsychologie – wie betrifft ihr Forschungsfeld das Thema Homeoffice?
Es geht darum zu analysieren und Empfehlungen abzugeben, wie Arbeit für Menschen gesund bzw. gesundheitsfördernd gestaltet werden kann. Homeoffice ist natürlich ein Aspekt der Arbeitsgestaltung und kann durchaus positive Aspekte haben. Es geht aber auch um Führung, Organisations- und Personalentwicklung, etwa die Frage, wie Führung angepasst werden muss, welche Kompetenzen bei Beschäftigen und Führungskräften gestärkt werden sollten und welche Organisationskultur zu Homeoffice passt.
Wie verändert Homeoffice unsere Arbeitswelt?
Basiert die Kultur des Unternehmens auf Vertrauen, dann kann die Arbeit im Homeoffice zu mehr Autonomie seitens der Beschäftigten führen. Wird hingegen stark auf Kontrolle gesetzt, werden die Handlungsspielräume der Beschäftigten eher eingeschränkt. Man muss die Vorstellung von Führung überdenken und auch die Beurteilung von Leistung. Es geht nicht um die Anwesenheit, sondern um den Beitrag, den MitarbeiterInnen im Homeoffice leisten. Das kann bedeuten, dass Führungspersonen mehr Koordinationsaufgaben übernehmen müssen, um sicherzustellen, dass die Zusammenarbeit und der Austausch im Team funktionieren. Dazu sind auch Rahmenbedingungen und Zielvorgaben nötig. Ist man in der Tätigkeit sehr abhängig voneinander, verändert Homeoffice die Zusammenarbeit im Team sehr stark. Der Austausch untereinander verlangt Planung.
Dadurch rückt auch die Arbeitsleistung in den Fokus, der Blick auf die Arbeitszeit nimmt ab, oder?
Das ist generell eine Herausforderung, die nicht spezifisch für das Homeoffice ist. Zielvereinbarungen sind prinzipiell etwas Positives, sie geben eine Richtung und Erwartungen vor. Wichtig ist aber, dass diese Ziele realistisch sind und nicht verstärkten Druck aufbauen. Sie müssen so gesetzt werden, dass sie herausfordernd und motivierend sind, aber nicht so hoch, dass sie nicht erreicht werden können. Ein typisches Problem ist, dass Ziele häufig auf dem Erreichten des Vorjahres aufsetzen. Das führt zu einer Aufwärtsspirale und ist problematisch.
Wie wichtig ist es für die Zukunft, genaue Regelungen zu finden?
Es ist für Vorgesetzte und Mitarbeiter wichtig, einen Rahmen zu haben, in dem Erwartungen geklärt sind, zum Beispiel die Erreichbarkeit. Homeoffice wird etwa oft genützt, um konzentriert zu arbeiten. Hier könnte man beispielsweise einen Zeitrahmen vereinbaren, innerhalb dessen reagiert werden muss. Auch die Arbeitszeit, in der man zur Verfügung steht, sollte geklärt sein. Sonst droht die Gefahr, dass von den Beschäftigten Druck erlebt wird, länger erreichbar sein zu müssen, als das im Büro der Fall wäre – auch wenn das von der Führung nicht so kommuniziert wurde.
Sollte man ArbeitnehmerInnen stark in die Entwicklung der Regeln einbinden?
Das ist besonders wichtig. Wenn ich von Homeoffice und Flexibilität spreche, dann spreche ich von Flexibilität bei den Beschäftigten. Das hat zumeist positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden. Wenn es um geforderte Flexibilität geht, also um Vorgaben, die auch kurzfristig kommen, dann wirkt sich das natürlich negativ aus, weil Planbarkeit und Vorhersehbarkeit nicht gegeben sind. Es zeigt sich bei allen Veränderungsprozessen, dass es immer positiver ist, wenn MitarbeiterInnen und deren Bedürfnisse einbezogen und ernst genommen werden. Es ist ja nicht so, dass Beschäftigte unrealistische Forderungen stellen, aber sie müssen integriert werden. Auch die Unternehmen müssen flexibel sein. Sie sollten einen klaren Rahmen vorgeben und dann individuelle Anpassungen zulassen. In Abhängigkeit davon, in welcher Lebensphase man sich befindet oder wie lange der Arbeitsweg ist, sind möglicherweise unterschiedliche Regelungen sinnvoll.
Welche Wünsche äußern die Menschen eigentlich?
Wenn man ArbeitnehmerInnen befragt, welche Form der Flexibilität sie sich wünschen, dann ist das oft Gleitzeit, ein bis zwei Tage Homeoffice pro Woche oder eine komprimierte Arbeitswoche von vier Tagen mit insgesamt 40 Stunden. Aber auch Arbeitszeitverkürzung ist ein Thema, wird immer wieder gewünscht.
Wird die Trennung von Beruf und Privatleben im Homeoffice schwieriger?
Das ist ein Aspekt. Auch wenn man getrennte Räume hat, ist man doch eher mit der Arbeit konfrontiert. Es gibt aber Möglichkeiten, wie man Grenzen zwischen Arbeit und Privatem ziehen kann. Eine Chance ist eine physische Grenze, dann kann man sich auch gedanklich leichter von der Arbeit trennen.
Steigt durch Homeoffice die psychische Belastung der ArbeitnehmerInnen?
Homeoffice an sich sollte dazu nicht beitragen. Was man aber in der Forschung sieht, sind ambivalente Auswirkungen von Homeoffice. Einerseits geht die Arbeit im Homeoffice zumeist mit mehr Autonomie und einer besseren Vereinbarkeit von Arbeit und Privatem einher. Andererseits kann man schlechter abschalten, arbeitet oft mehr, länger und intensiver. Über diesen Umweg kann die Arbeit im Homeoffice langfristig psychisch belastend wirken.
Wie groß ist die Herausforderung? Wie schwierig sind solche massiven Veränderungen?
Es ist wie bei jeder Organisationsveränderungsprozess. Es geht nicht nur darum, eine Regelung zu vereinbaren, sondern auch um die Veränderung der Organisationskultur. Die Menschen müssen einander vertrauen und dürfen nicht glauben, dass die KollegInnen im Homeoffice nichts arbeiten. In manchen Unternehmen kann dies ein länger Veränderungsprozess sein. So wie wir die Einführung von Homeoffice während des Lockdowns von heute auf morgen erlebt haben, sollte es im Idealfall nicht ablaufen.
Wie wichtig sind die Erkenntnisse ihrer Forschung für die Entscheidungen der Zukunft?
Was wir machen, ist angewandte Forschung in Unternehmen. Anhand dessen können wir natürlich Empfehlungen abgeben. In der internationalen Forschung hat sich zum Beispiel gezeigt, dass fünf Tage Homeoffice pro Woche nicht gewünscht sind. ArbeitnehmerInnen, die jeden Tag im Homeoffice arbeiten, berichten von sozialer Isolation. In diesem Fall ist das zentrale menschliche Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit nicht erfüllt. Auch die Art der Implementierung hat Effekte auf Beschäftigte, auf deren Motivation und Leistung. Es ist wichtig, diese wissenschaftlichen Erkenntnisse in die Entscheidungen miteinzubeziehen.
(Quelle: oegb.at)